Kärnten: Urlaub im Land der HEILIGEN BERGE und „KRAFTORTE“ – Ein Essay über einen Urlaub in Kärnten (Neuhaus)

Kürzlich erhielt ich per E-Mail eine interessante Rückmeldung bezüglich meiner Homepage von Klaus Lelek, Journalist im Ruhestand (Jahrgang 1954) aus Deutschland, die ich hiermit direkt an die Besucher meiner Seite weitergeben darf:

Sehr geehrter Herr Pölz,

Meine Frau und ich haben einen wunderschönen Urlaub in ihrer Gemeinde Neuhaus, Ortsteil Pudlach verbracht und viele Bilder und Eindrücke mit nach Hause genommen, die ich als Journalist im Ruhestand (Jahrgang 1954) in einem Essay (siehe Anlage) zusammengefasst habe.

Bei der Planung unseres Urlaubs war mir ihre interessante Webseite mit den vielen beeindruckenden Bildern der Umgebung und der Sehenswürdigkeiten eine große Hilfe. Zumal wir mit den mitgebrachten Fahrrädern unterwegs waren. Natürlich haben wir mangels Kondition ihre Touren nicht in vollem Umfang nachfahren können. Aber 165 Kilometer sind auch bei uns zusammengekommen. Das meiste entlang der Drau und auf dem Lavanttal-Radweg, über den wir immerhin St. Andrä mit seinen imposanten Kirchen erreicht haben. Auch die Johannes und Josefskirche bei St. Paul haben wir uns – allerdings mit Autoanfahrt – erstrampelt, ebenso die kleine Almsiedlung „Glashütte“ oberhalb des Stausees Soboth. Natürlich vom See-Parkplatz aus. Wir haben gute KTM-Fahrräder aber keine E-Bikes.   

Sehr beeindruckt hat uns das Peter-Handke-Museum, über das Sie ja auf ihrer Homepage eine Menge berichten. Peter Handke begleitet uns eigentlich schon seit unserer Jugend. Meine Frau und ich kennen einen großen Teil seiner Werke. Irgendwann haben wir uns gesagt: Jetzt fahren wir da mal hin, zum Schauplatz seiner Romane. Wir waren auch am Grab der Eltern. Dieses Kloster Griffen – es wirkte völlig verlassen und menschenleer – wir waren an diesem verregneten Tag die einzigen Besucher – ist ein echter Handke-Ort. Ein paar Tage später beim Chorkonzert quoll die benachbarte Stifts-Kirche über mit Menschen. Großen Eindruck hinterließ auch das Werner-Berg-Museum in Bleiburg und natürlich die geheimnisvollen KRAFTORTE, über die ich in meinem Essay etwas ausführlicher berichte.

Als ich mit dem Essay fertig war, habe ich mir gedacht, ich stelle es nicht nur auf meine private Homepage, sondern schicke es jemand, der vielleicht auch Interesse daran hat zu erfahren, wie ein Fremder, ein Reisender seine Heimat sieht. Wir werden auf jeden Fall wieder einen Urlaub im Grenzgebiet verbringen.

Es gibt noch viel zu entdecken. Über weitere Anregungen sind wir immer dankbar.

In diesem Sinne nochmals herzlichen Dank für die Tipps

Mit besten Grüßen

Klaus Lelek

Fotos Karl Pölz
 
Kärnten: Urlaub im Land der HEILIGEN BERGE und „KRAFTORTE“

Griffen – „Dieser Ort ist ein Kraftort, egal ob man katholisch ist, einer anderen Religion angehört oder an gar nichts glaubt“, raunt meine Sitznachbarin während eines Chor-Konzertes in der ehrwürdigen romanischen Stiftskirche in Griffen, während die Sängerinnen und Sänger aus Kärnten untermalt von den Gitarrenklängen eines slowenischen Ensembles inbrünstig das AVE MARIA anstimmen. Peter Handkes Schauplatz zahlreicher Erzählungen ist mehr als gut gefüllt. Im Hauptgang zwischen den Kirchenbänken sind zusätzliche Stuhlreihen aufgestellt. Wer kein Sitzplatz ergattern konnte, steht in den Gängen und Nischen neben den Seitenaltären. In den knapp 750 Jahre alten Mauern findet an einem verregneten Maisonntag mehr als ein Kultur-Event statt. Hier wird etwas gelebt, was in Deutschland schon längst einem linksideologischen Staatskirchen-Katholizismus gewichen ist, den man vielerorts nur noch als „Leerstands-Immobilienverwalter“ bezeichnen kann: Die noch intakte Einheit von Naturverbundenheit, Volksglauben, Kultur, Tradition und gefühlter wie gelebter Spiritualität. Unwillkürlich stellt man sich die Frage: Ist nicht ganz Kärnten ein Kraftort?

Kraftorte wie Griffen gibt es in Kärnten zuhauf. Die meisten liegen auf markanten Bergen, die in der Regel von einer Kirche gekrönt werden. Zum Beispiel auf dem geheimnisvollen Hemmaberg, im Vorfeld der Karawanken, christliche Keimzelle Kärntens. Wie alle HEILIGEN BERGE des Österreichischen Bundeslandes hat er eine lange vorchristliche Tradition als Kultstätte keltischer Götter, allen voran Noreia und Iovenat. Der Letzt genannte ist eine Art keltischer Jupiter, nach dem auch die Gegend zwischen Klagenfurt und Völkermarkt/Griffen/Bleiburg – das sogenannte „Jaunfeld“ – benannt ist. Treffend beschreibt die Klagenfurter Geografin und Historikerin Martina Gansl, dass die keltisch-römische Götterwelt nahtlos in der christlichen Epoche aufgegangen ist. Hemma von Gurk, die Schutzheilige Kärntens hat dabei ebenso wie Maria die Rolle der Noreia angenommen. Die Grundmauern spätrömischer frühchristlicher Gotteshäuser – darunter sogar eine Kirche arianischer Gläubiger auf dem Gipfel des Hemmaberges – erinnern an eine vom Wald umgebene versunkene geheimnisvolle Ruinenstadt.

Während der Völkerwanderungszeit bot das befestigte Plateau der umliegenden Bevölkerung Schutz. Auf der schroffen, zerklüfteten Nordseite des Berges erwartet den Besucher ein weiterer spiritueller Ort: Die gewaltige Rosaliengrotte. Eine natürliche Kathedrale im Kalkfelsen. Durch ein tiefes Loch in der Höhlendecke fällt das Tageslicht direkt auf eine kleine hölzerne Kapelle in deren Mitte sich eine mit unzähligen mitgebrachten Ikonen und Kerzen ausgeschmückte liegende Skulptur der heiligen Rosalie befindet. Darunter tritt heilbringendes Wasser aus dem Gestein. Berg, Grotte, Quelle, Glaube, Natur. Auf dem Hemmaberg spürt man den eigenen Herzschlag. Hier entfaltet sich eine Aura, die der bekannte Deutsche Religionswissenschaftler Rudolf Otto als „Das Heilige“ bezeichnet hat. Niemand käme hier auf die Idee eine gestiftete Ikone zu entwenden oder gar zu zerstören.    

Weitere Kraftorte und HEILIGE BERGE sind der Veitsberg, der Ulrichsberg, der Lorenziberg und der Magdalensberg. Noch heute machen sich am sogenannten Dreinagelfreitag tausende Pilger auf den Weg, um alle vier Berge abzulaufen. Auf der Wallfahrt nördlich von Klagenfurt legen sie 52 Kilometer zurück und überwinden dabei insgesamt 2500 Höhenmeter. Beim zeitgleichen „Jauntaler Dreibergelauf“ werden der Lisnaberg, die Wallfahrtskirche Heiligenstadt auf dem Petschnikkogel sowie die Heiliggrab Kirche auf einem markanten kleinen Berg bei Bleiburg abgewandert. Immerhin 27 Kilometer. 

Glaube versetzt im wahrsten Sinne des Wortes Berge, mobilisiert die letzten Kräfte und bringt den Pilger zu Kraftorten, deren Kultur, Religions- und Siedlungsgeschichte stellenweise bis in prähistorische Zeiten reicht. Am Magdalensberg wurde unterhalb der Wallfahrtskirche eine keltisch-römische Handelsstadt ausgegraben. Ein weiteres versunkenes Oppidum wird unterhalb des geheimnisvollen Gracarca-Berges am Klopeiner See vermutet. Auch die Berge inmitten der kleinen Seenplatte sind von Kirchen gekrönt. Allen voran die Georgikirche auf dem Georgibergl mit ihrer geheimnisvollen Wunschglocke. Benachbart die Bergkirche St. Daniel.    

 

Eine weitere Ansammlung von Kraftorten mit prähistorischer christlicher Tradition findet man im Gebiet zwischen Griffen und Lavamünd. Hier hat sich von den Ufern der Drau ausgehend zwischen den Alpenmassiven Koralpe, Saualpe und Karawanken ein kleines Mittelgebirge hineingezwängt, das mit seinen markanten Einzelbergen ein wenig an das Siebengebirge bei Bonn erinnert. Geistliches Zentrum des Gebietes ist St. Paul mit seiner imposanten romanischen Klosterkirche. Von hier aus führt eine kleine Straße zu den beiden Bergkirchen St. Johannes und St. Josef. Auch der Josefsberg könnte bereits in vorchristlicher Zeit ein alter Kultstätten-Platz gewesen sein, ebenso wie der benachbarte Felsenkegel der Ruine Rabenstein in deren Umfeld bronze- und eisenzeitliche Besiedelungsspuren nachgewiesen wurden. Von beiden Bergen hat man einen atemberaubenden Blick auf die Koralpe, Saualpe und die Karawanken. Vom Josefsberg schweift der Blick hinab zur Drau, die sich verstärkt durch die wasserreiche Lavant Canyon artig durch die Ausläufer der Karawanken und Koralpe nach Slowenien gräbt. Die Berge links und rechts des Flusses bilden gleichsam ein Tor zum Balkan.

 

Bei diesen Fernblicken, die anders als in den engen Zentralalpen, selbst von einem kleinen Berg aus, eine mehr als 100 Kilometer große Rundumsicht ermöglichen, gerät der Betrachter ins Träumen. Wie sieht es hinter dem Horizontgebirgen aus?  Italien und Slowenien liegen in unmittelbarer Nachbarschaft. Kroatien und Ungarn sind gerade mal 150 Kilometer entfernt.  Kärnten ist Grenzland und eigener Mittelpunkt. Bodenständigkeit, Gastfreundlichkeit, Offenheit und Heimatverbundenheit prägen das Land. Die Grenzlage und kultureller Vielfalt haben in der Vergangenheit nicht nur zur Bereicherung, sondern auch zu blutigen Konflikten geführt, die unter der Oberfläche bis heute schwelen. Eine einseitige Sichtweise ist unangemessen. In Südostkärnten sind viele Ortschilder unter Berücksichtigung des slowenisch-stämmigen Bevölkerungsanteils zweisprachig. In Slowenien dagegen sind im Grenzgebiet – etwa in Dravograd – nicht einmal touristische Hinweise am Drau-Radweg zweisprachig. Nicht einmal Englisch. Ob niederländische Radler slowenische Texte lesen können? 

 

 
Eine Landschaft zum Wegträumen

Kärntens großer Preisgekrönter literarischer Chronist Peter Handke, beschreibt auf seinen Streifzügen durch das Jaunfeld immer wieder das Phänomen des sich Wegträumens auf unnachahmliche Art. Sicherlich haben die einmaligen vielfältigen Eindrücke seiner Heimat ihn nicht nur zum literarischen Grenzgänger und Bewohner der „Zwischenräume“, sondern auch zum Landschaftspoeten werden lassen, der ähnlich wie die Romantiker das Genre der Landschaftsbeschreibung mit Seele und Fantasie füllt. Hand aufs Herz: Könnten die über dem blauen Tal-Dunst schwebenden Karawanken, deren Schneebedeckten Gipfel sonnendurchflutet unerreichbar hoch in der Luft hängen, nicht auch der Himalaya sein? Die Drau mit ihren von Kirchen, Kapellen und Wegkreuzen gekrönten Höhen ein heiliger Fluss? Die unwegsamen Auwälder mit ihrem lauten Frosch-Gequake entlang des Drau-Radweges ein Regenwald in Südamerika? Bieten nicht die auf einem Felsen thronende Burg Hochosterwitz und die Auenlandberge des Jaunfeldes samt Waldumrandeter Seen eine Filmkulisse a la Herr der Ringe?      

In kaum einer Region Europas sind so unterschiedliche Landschaften auf kleinsten Raum vereint und wirken dennoch groß und weiträumig. Möge diese Landschaft, die Schriftsteller wie Peter Handke, Ingeborg Bachmann und Christine Lavant, den Maler Werner Berg, und den Musiker Gustav Mahler inspirierten, noch lange erhalten bleiben. Die Gefahr einer Zersiedlung ist jedoch nicht von der Hand zu weisen und drängt sich an manchen Orten geradezu auf. Auch die als Umweltmusterprojekt gepriesene Koralpe-Bahn hat deutliche Spuren in der Umgebung hinterlassen, ebenso wie die sehr großflächig in die grüne Wiese gesetzten Einkaufszentren, Gewerbe und Neubaugebiete. In Sachen Landschaftsschutz ist auf jeden Fall noch Luft nach oben. Gewöhnungsbedürftig ist auch das halb in der Luft hängende in einen Hügel hineingerammte moderne Museum Liaunig, dass an eine Baustelle, oder halbfertigen Straßentunnel erinnert. Dass Kunst provozieren soll ist klar; – das machen auf ihre Weise auch die Bilder von Werner Berg – aber soll sie auch die einmalige Landschaftskulisse der Karawanken-Vorberge stören?            

Klaus Lelek